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Information der evengelischen Kirchen Italiens


Christen sind zerstritten über das «Abendmahl»
28. Oktober 2015
(übersetzt aus dem Italienischen)
Ist die Zeit reif für eine Gastfreundschaft beim Abendmahl?
(Paolo Tognina) — In den letzten Jahren sind vermehrt Stimmen laut geworden, die sich äussern, es wäre an der Zeit, eine Gastfreundschaft unter Christen bezüglich der Abendmahlsfeiern einzuführen, was ja bisher nur mehr oder weniger heimlich stattfinden durfte. Im Sommer 2014 haben sich einige reformierte Pfarrer und katholische Priester im Kanton Zürich, die von dieser Idee überzeugt sind, in der Vereinigung ‘Symbolon’ zusammen getan, um öffentlich Kund zu tun, dass sie eine gemeinsame Abendmahlsfeier im Rahmen eines öffentlichen ökumenischen Anlasses in Gfenn (Dübendorf) durchführen wollen. Diese Initiative wurde dann aber auf nicht näher bezeichneten “Druck von oben” unterbunden. Es blieb bei der traurigen Ankündigung durch die Organisatoren am ökumenischen Gottesdienst, dass es nicht leider nicht möglich sei, ein gemeinsames Abendmahl zu feiern.
Geteilte Tafel
Dieser Fall hat wieder einmal die bestehenden Divergenzen bezüglich der Gastfreundschaft in der Eucharistie zwischen der katholischen Basis und Kirchenleitung — einigen Priestern und wohl auch Bischöfen — verdeutlicht. Um diese Situation noch zu zementieren, hat im November letzten Jahres der Bischof von Lausanne, Genf und Fribourg, Monsignore Charles Morerod, einen Text — “Réflexions sur l'eucharistie dans un contexte oecuménique” — auf der Webseite seiner Diözese veröffentlicht. Darin ruft uns Bischof Morerod deutlich in Erinnerung, dass Protestanten und Katholiken sich nicht an einen gemeinsamen Abendmahlstisch setzen dürfen, weil die theologischen Konzepte über die Bedeutung des Abendmahl, so wie es die Protestanten ausdrücken, nicht vereinbar sei mit dem katholischen Dogma. Auch gebe es bei den Protestanten keine ausgebildeten und ordinierten Priester und daher auch niemanden, der Sakramente erteilen dürfe.
Die Frage der Teilnahme aller Christen am gemeinsamen Abendmahl ist ein ungelöster gordischer Knoten. “Und es sieht nicht danach aus, als wäre eine Lösung in Kürze zu erwarten”, schreibt der katholische Theologe Brunetto Salvarani in seinem neuesten “Wir können uns nicht ‘ökumenisch’ nennen” [“Non possiamo non dirci ecumenici”] (Gabrielli, 2014). Im Wochenblatt der italienischen Protestanten “Riforma” geht der Waldenser Pfarrer Paolo Ricca auf dieses Thema ein und geisselt die Situation als “eucharistische Appartheid”. Er erklärt, dass Jesus das Abendmahl ausdrücklich dazu feierte, um die Gemeinsamkeit zwischen sich und den Jüngern aber auch unter den Jüngern selber zu festigen; er hat damit ein Zeichen gesetzt und den Christen ein Mittel zur Festigung von Einheit der Gemeinschaft in die Hand gegeben, “Gelegenheit und Anlass für unendliche Dispute, um Missverständnisse zwischen unterschiedlichen Gruppen (mittelalterlich modern: Exkommunikation) auszumerzen”.
Protestanten und Abendmahl
Im Verständnis der Protestanten war das Abendmahl seit der Reformation im 16. Jahrhundert ein Anlass lebhafter Diskussionen. In einem Punkt sind sich alle Protestanten einig: Beim Abendmahl ist Christus wirklich anwesend. Keiner der Reformatoren hat das je bezweifelt. Der Unterschied besteht im Verständnis, auf welche Weise sich diese Anwesenheit manifestiert.
Für Martin Luther ist das Abendmahl “Gottes Wort wird zu Brot”. Um seinen Standpunkt auszudrücken verwendet der Reformator aus Wittenberg den Begriff der “Konsubstantiation” (der gleichzeitigen mehrfachen Realität in verschiedenen Formen), ein Begriff, der von vielen Theologen des Mittelalters verwendet wurde: ganz Christus, sowohl als göttliches wie als menschliches Wesen, erscheint im Wein und im Brot. Huldrych Zwingli hielt dagegen, dass der Leib Christi in den Himmel gefahren sei. Daher bleibt das Brot Bort und der Wein Wein. Gemäss dem Zürcher Reformator — er wollte nicht in die römische Doktrin der Wandlung zurückfallen — ist Christus anwesend, aber im Geiste der zelebrierenden Gemeinschaft. Im Jahr 1529 haben sich Luther und Zwingli in Marburg über das Verständnis der Anwesenheit Christi bei der Abendmahlsfeier entzweit.
Ein paar Jahre später schläg Calvin in Genf noch eine Weitere Variante vor: Christus ist anwesend im Geiste, und kraft dieses Geistes ist das Geschenk der an Christus gebundenen Gnade dem Menschen in Form von Brot und Wein angeboten. In dieser Art, kraft des Geistes und des gepredigten Wortes, sind Brot und Wein die “echte, aber spirituelle Gemeinschaft mit dem Fleisch und Blut Christi” (“Katechismus von Genf”, 1537). Das sieht aus, als könnte man “spirituelle” und reale Anwesenheit als Gegensätze auffassen. Dabei gibt es nichts realeres — sowohl nach dem Genfer Reformator als auch der ganzen christlichen Theologie — als den Heiligen Geist.
Von Marburgo bis Leuenberg
Der Protestantismus brauchte fünf Jahrhunderte, um die unterschiedlichen Meinungen über das Abendmahl zu überbrücken. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben Lutheraner und Reformierte endlich die unterschiedlichen Interpretationen akzeptieren können, die sie daran hinderten, alle zusammen am Tisch des Herrn zu empfangen. Die vereinbarung («Konkordie») vom Leuenberg, im Jahr 1973 im Tagungszentrum Leuenberg, Hölstein BL, unterzeichnet, gestattete fortan das gemeinsame Abendmahl zwischen Lutheranern und Reformierten.
“Die Divergenzen, die von der Zeit der Reformation an unmöglich gemacht hatten, dass Lutheraner und Reformierte zusammen gehen feiern konnten und in gegenseitiger Verdammung mündeten”, heisst es in der Vereinbarung, “betrafen die Doktrin des heiligen Abendmahls, den christlichen Glauben und die Vorbestimmung”. Wir nehmen zwar die Entscheidungen unserer Väter ernst, aber heute können wir gemeinsam folgendes sagen: Im Abendmahl des auferstandenen Jesu Christi, der seinen Körper und sein Blut für uns alle gegeben hat, erhalten wir als Zeichen seines Versprechens Brot und Wein. Also er gibt sich selber ohne Vorbehalte allen, die das Brot und den Wein empfangen. Der Glaube führt zum Heil, der Unglaube ins ewige Gericht. Wir können die Gemeinschaft mit Jesus Christus nicht vom Akt des Essens und Trinkens trennen. Jeglicher Gedanke an eine Art von Christi Anwesenheit beim Abendmahl losgelöst von dieser Verbindung läuft Gefahr, seinen Sinn auszublenden. Wo es unter den Kirchen diesen Konsens gibt, sind die Ablehnungen der Konfessionen im Glauben der Reformation nicht mehr Teil der Kirchendoktrin. (“Konkordie vom Leuenberg”, Artikel 17-20).
Die Gnade und die Theologie
Wenn wir die Entwicklung von Marburg bis Leuenberg zusammenfassen, kann man — mit etwas Mühe, aber doch deutlich — folgendes festhalten: Das Geschenk der Gnade und der Gemeinschaft Gottes ist weit grösser und wichtiger als die theologischen Details um die Präsenz Christi. Dieses Prinzip hat es den Protestanten erlaubt, ihre internen Divergenzen zu überwinden und könnte eine Basis sein, um einige Hindernisse zwischen Protestanten und Katholiken zu beseitigen. Aber die römisch-katholische Weigerung basiert heute nicht mehr in erster Linie auf Divergenzen der Interpretation, sondern auf Verfahrensvorschriften: Wer ist berechtigt, ein Abendmahl zu leiten? Die Antwort aus Rom lautet: Nur ein von einem — von der katholischen Kirche — anerkannten Bischof beauftragter Priester darf eine Eucharistie-Feier leiten. Ohne einen römisch-katholischen Bischof gibt es keine Eucharistie. Aus dieser Sackgasse ist nicht so leicht heraus zu kommen.
Die protestantische Praxis
In vielen protestantischen Kirchen wird das Abendmahl nicht jeden Sonntag gefeiert. Die traditionelle Praxis sieht jährlich vier Feiern vor: Weihnachten, Ostern, Pfingsten und am ersten Sonntag im September. Seit einigen Jahren sind in einigen Pfarreien auch monatliche Feiern üblich. Für eine höhere Frequenz der Abendmahlsfeiern spricht gemäss einigen Leuten Folgendes: Wenn in der Tat die göttliche Gnade sich im biblischen Text und im Brot und dem Wein manifestiert — abgesehen natürlich von der Taufe —, wäre es dann nicht angebracht, das Abendmahl als Bestandteil, wenn nicht gar als Hauptsache, des “normalen” sonntäglichen Gottesdienstes zu betrachten?
Der Waldenser Pfarrer Paolo Ricca — moderater Verfechter der allsonntäglichen Abendmahlsfeier — bemerkte zum Thema: “Das hauptsächlichste Problem bei der Abendmahlsfeier ist nicht die Häufigkeit der Feier”. Wichtig ist nicht wie oft es gefeiert wird, sondern die Qualität des Rituals und unserer Teilnahme daran”. Wichtig ist nicht die Anzahl der Feiern, sondern auf welche Art sie durchgeführt wird. Geschieht dies auf schlechte Art, dann ist es schlechter (nicht besser), sie häufiger zu zelebrieren. Die Art der Zelebrierung, wie sie heute in der Regel in unseren (und nicht nur in unseren) Kirchen durchgeführt wird, lässt einiges zu wünschen übrig. Es gibt da einen grossen Bedarf an Erneuerung, da sind sich viele einig. Aber diesem Thema wird in den Kirchen wenig Beachtung geschenkt, wäre aber dringend notwendig.
Gastfreundschaft in der Eucharistie
Fassen wir die Gastfreundschaft in der Eucharistie zusammen — die Praxis hat sich erst im 20. Jahrhundert etabliert und ist heute in allen Bereichen im Protestantismus üblich —, dann gibt das ein eher differenziertes Bild.
Die evangelisch-reformierten Kirchen haben vor etwas mehr als fünfzig Jahren den Appell der Allianz «Reformierte Welt» (Generalversammlung von 1954 in Princeton) bezüglich der Zulassung zum Abendmahl umgesetzt. Dieser Appell empfiehlt diese Zulassung wie folgt: “Jede getaufte Person, die Jesus Christus liebt und sich zu ihm als Herr und Erlöser bekennt”. Dieselbe Position vertreten auch die Kirchen der anglikanischen Weltgemeinschaft; diese Kirchen praktizieren die sogenannte ‘offene Gemeinschaft’ (open communion). Das heisst, sie laden alle getauften Christen zum Abendmahl ein, welche sich am liturgischen Leben ihrer jeweils eigenen Kirche beteiligen, Reformierte, Lutheraner sowie andere evangelische Kirchen, welche die Konkordie vom Leuenberg 1973 unterzeichnet haben. Schwieriger zu beschreiben ist, was in der vielfältigen Welt der übrigen Kirchen geschieht: Freikirchen, Evangelikale oder Pfingstmission. Die Bewegung der Kongregationisten weist auf die Autonomie der einzelnen Pfarreien hin. Es sei schwerlich vorstellbar, dass eine Behörde in der Art einer Synode entsprechende Entscheide treffen könnte. Jede lokale Gemeinschaft regelt diese Frage selber, wie auch andere Themen zur Funktionsweise der Kirche. Im Allgemeinen kann man beobachten, dass viele dieser Kirchen die gegenseitige Gastfreundschaft eingeführt haben.
Wie schon erwähnt, verweigern die katholische und die orthodoxen Kirchen die Gastfreundschaft bei der Eucharistie. Das heisst, sie schliessen nicht katholische resp. nicht orthodoxe Christen faktisch von der Gemeinschaft und dem Abendmahl aus.
Hindernisse und Perspektiven
In der protestantischen Sichtweise hat sich das Augenmerk nach längeren Überlegungen verschoben, weg von der Problematik der Präsenz Jesu beim Abendmahl, hin zur Frage, was das Geschenk des Abendmahls für die Kirche bedeutet. Das heisst nicht, dass man nicht mehr über die göttliche Präsenz beim Abendmahl nachdenken soll, aber man soll aufhören zu meinen, dass die eigene Vorstellung darüber die einzig mögliche und legitime sei. Aber es bedeutet auch, sich vor allem der Gnade und Gemeinschaft Gottes bewusst zu sein, und daher zu versuchen, es als einen Anlass Gottes zu sehen, zu dem Er alle einlädt, jeden nach seinem Verständnis von Barmherzigkeit, Vergebung und Gemeinschaft.
Selbstverständlich spielt es bei Protestanten keine Rolle — wie es auch dem neuen Testament zu entnehmen ist —, wer das Abendmahl leitet, was gerade im Katholizismus und in der Orthodoxie zum diskriminierenden Faktor geworden ist. Protestanten sind auch befremdet vom katholischen und orthodoxen Verständnis, die Gemeinschaft der Eucharistie sei eine Gemeinschaft der Gesamt-Kirche, und sei nur möglich, wenn alle das identische Glaubensbekenntnis, die gleichen Priester und die gleichen Sakramente hätten. Heute schlagen einige Protestanten gar vor, das Abendmahl als gemeinsamen Anlass aller Christen anzusehen, ohne jegliche Unterscheidung. Dies wäre ein Anfang auf dem Weg zur Einheit in der Vielfalt, von dem einige befürchten, es würde zur Gleichschaltung und Uniformierung führen.
Original-Seite: ➔ (italienisch). in italienisch ➔ http://riforma.it/it/articolo/2015/10/28/cristiani-divisi-alla-mensa-di-gesu.
Deutscher Originaltext der Konkordie vom Leuenberg 1973: hier [PDF] (20kB). ➔ http://www.ref-so.ch/fileadmin/user_upload/PDF/Schweiz/Leuenberger_Konkordie.pdf [PDF] (20kB).
AASR — Associazione Amici Svizzera Riesi
(Verein der Schweizer Freunde des Servizio Cristiano – Riesi)