Bericht einer Freiwilligen in Riesi |
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von Doro Birkner, Bülach
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Am Sonntag den 18. August hat mein Abenteuer begonnen: Mit dem Zug bin ich von Bülach nach ‘Torre Pellice’ gereist. ‘Torre Pellice’ ist ein kleines Städtchen im Piemont, das ein wichtiges Zentrum der Waldenser ist. Dort hatte ich mit 27 anderen Jugendlichen ein zweiwöchiges Vorbereitungsseminar. Die anderen Teilnehmer waren alle aus Deutschland und werden für ein Jahr in verschiedenen Waldenser Institutionen in ganz Italien verteilt ein sogenanntes Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolvieren. Es war eine aufgeschlossene und fröhliche Gruppe und wir haben die gemeinsame Zeit im Piemont sehr genossen. Das Programm war immer sehr gefüllt; am Morgen hatten wir jeweils Sprachkurs und am Nachmittag wurde uns die Waldenser, aber auch die italienische Geschichte nähergebracht. Daneben haben wir immer wieder spannende Ausflüge gemacht. So waren wir einen Tag lang in Turin, haben eine schöne Wanderung in den Bergen gemacht und haben in den Waldenser Tälern verschiedene Dörfer, Kirchen und Zentren (Agape, Prali,Val d'Angrogna, …) besucht.
Am 1. September ist ein grosser Teil der 28 Jugendlichen nach Sizilien aufgebrochen. Unsere Gruppe war zu sechst unterwegs. Innerhalb von 24 Stunden sind wir mit Zug, Bus und Fähre von ‘Torre Pellice’ nach Riesi gereist. Die Reise war sehr anstrengend und ermüdend, aber trotzdem auch sehr erlebnisreich. Die Züge waren erstaunlich modern und angenehm, auch im Nachtzug konnten wir trotz sehr engen Platzverhältnissen gut schlafen. Die Aufenthalte in den verschiedenen italienischen Bahnhöfen waren sehr interessant. Vor allem Neapel ist mir in Erinnerung geblieben, wenn auch eher negativ: Kaum aus dem Bahnhof draussen sieht man überall Müll und der Geruch nach Abfall ist ziemlich penetrant. Ein Höhepunkt unserer Reise war natürlich die Verfrachtung des Zuges auf die Fähre und die anschliessende Fahrt über das Meer bei Messina. Um fünf Uhr in der Nacht sind wir übers Meer gefahren und haben dieses zum ersten und bis jetzt leider auch zum letzten Mal gesehen.
In Catania sind wir auf den Bus umgestiegen und sind am Ätna entlang nach Caltanisetta weiter, wo wir dann vom Schulbusfahrer Giuseppe abgeholt wurden. Jedoch mussten wir im Regen(!) eine gute halbe Stunde auf ihn warten. Das Wetter war in der ersten Woche allgemein unerwartet regnerisch, jedoch auch sehr wechselhaft. Es gab schon einige Gewitter und Regenschauer, wir hatten aber auch sehr heisse Tage.
In Riesi angekommen wurden wir direkt eingespannt. Kurz nach unserer Ankunft hatten wir eine Besprechung mit unserem Chef Gianluca, dem Direktor vom Servizio Cristiano, das Zentrum in dem wir arbeiten. Am Dienstag halfen wir denn auch schon tatkräftig mit, Möbel zu schleppen und zu putzen. Da die Schule diesen Montag beginnt, mussten wir alle Gebäude reinigen und alles für den Schulstart vorbereiten. Mit dem Schulstart beginnen dann auch unsere individuellen “Arbeitsschichten”. Ich werde am Morgen jeweils im Gästehaus helfen putzen, am Mittag im Kindergarten beim Essen helfen und danach das Geschirr der Grundschule abwaschen. Ich bin schon sehr gespannt auf diese Arbeiten und freue mich, wenn bald “Alltag” einkehren wird. Denn die erste Woche war ganz schön anstrengend und gefüllt.
Der Arbeitsalltag und auch das WG-Leben spielen sich immer mehr ein. Bei der Arbeit finde ich mich mittlerweile sehr gut zurecht und geniesse die Abwechslung durch die verschiedenen Arbeitsbereiche sehr. Nach jedem Arbeitstag sind wir aber alle jeweils sehr geschafft, vor allem die Jungs haben körperlich sehr anstrengende Arbeiten, aber auch im Kindergarten fordern einen die Kinder sehr.
Das Zusammenleben in unserem gemeinsamen Haus funktioniert schon sehr gut. Meistens kochen und essen wir zusammen und wir unternehmen auch viele Sachen gemeinsam. Zum Beispiel gehen wir gemeinsam auf die Piazza, in verschiedene Jugendtreffs in der Stadt oder in eine Pizzeria. So kamen wir in diesen Wochen auch schon in Kontakt mit gleichaltrigen Einheimischen. Dies war sehr interessant und ich finde es schön, dass man immer mehr Leute kennt, wenn man durch die Strassen von Riesi geht. Als ich das allererste Mal mit Einheimischen im Gespräch war, wurde ich gefragt, ob ich Bülach oder Höri kenne. Einige aus Riesi arbeiten nämlich für eine Firma aus Höri und so ist ihnen meine “Heimatgegend” auch bekannt. Bei solchen Gesprächen bin ich im Vergleich zu den anderen Freiwilligen durch meine Sprachkenntnisse klar im Vorteil. Alle können immer noch sehr wenig Italienisch und haben Mühe sich zu verständigen. Ich geniesse es sehr, mein Schulitalienisch nun endlich praktizieren zu können. Obwohl ich auch sehr oft Hochdeutsch spreche, bin ich schon sehr im Italienisch drin. Offenbar habe ich sogar schon im Schlaf auf Italienisch Sachen erzählt! Da ich die einzige bin, die Italienisch spricht, muss ich jedoch auch immer mit unseren Vorgesetzten kommunizieren und bei Problemen auf sie zu gehen. Auch beim wöchentlichen Treffen mit unserer Ansprechperson Simona fungiere ich als Übersetzerin. Dies ist oftmals eine anstrengende und teilweise auch eine undankbare Aufgabe.
Am Wochenende war bis jetzt immer etwas los, entweder hatten wir Besuch oder waren selber unterwegs. Letztes Wochenende war ich zum Beispiel mit drei aus unserer Gruppe in Palermo bei anderen Freiwilligen zu Besuch. Ich habe es sehr genossen, einmal etwas anderes zu sehen als Riesi und die Stadt hat mir sehr gefallen. Palermo hat viele schöne Ecken, es gibt jedoch auch viele verkommene Strassen. Alles in allem war es ein sehr schönes Wochenende, an dem wir einen kleinen Eindruck von der fünftgrössten Stadt Italiens bekommen haben. Als wir am Sonntag zurück nach Riesi kamen, war es für mich ein “nach Hause-Kommen”. Ich habe mich gefreut wieder in vertrauter Gegend und bei meinen Leuten zu sein, was mir gezeigt hat, dass ich hier schon richtig angekommen bin. Am Wochenende davor hatten wir Besuch von Freiwilligen aus Südsizilien und am Sonntag sind wir alle in den Gottesdienst der Waldenser Gemeinde in Riesi, wo wir als neue Freiwillige des Servizio Cristiano vorgestellt wurden. Der Gottesdienst war sehr schön, wenn auch etwas anders als ich es mir von zu Hause gewohnt bin. Alles war etwas kleiner und improvisierter. Einen Pfarrer hat die Gemeinde seit Juli nicht mehr und deshalb hat der Direktor des Servizio Cristiano den Gottesdienst gemacht. Die meisten Kirchenlieder kenne ich auf Deutsch, viele andere Sachen waren mir auch vertraut. Die Leute waren alle sehr nett und aufgeschlossen und man hat gemerkt, dass sie unseren Einsatz schätzen. Auch dieses Wochenende hatten wir wieder Besuch von den Freiwilligen aus Palermo und auch von Südsizilien.
Die Zeit hier in Riesi vergeht weiterhin wie im Flug: es ist nun schon Anfang Dezember und die Advents- und Weihnachtsstimmung ist allmählich auch bei uns angekommen. In diesen Tagen zeigt sich Sizilien wieder einmal von seiner schönsten Seite und wir geniessen momentan schöne sonnige und fast schon frühlingshafte Tage. Die Zitronen und Orangen sind reif und bereit zum Ernten, der Himmel ist blau und meist wolkenlos und die Vogelschwärme machen auf den Feldern Pause auf ihrer Reise weiter in den Süden. Leider bedeutet dieses Wetter für mich auch, dass ich jeden Morgen Fenster putzen muss, da wir die schönen Tage dafür nutzen müssen. Der Blick auf den Etna, den ich beim Fensterputzen meist habe, macht es aber trotzdem zu einer schönen Arbeit. Von seinen vulkanischen Aktivitäten haben wir nur wenig mitbekommen, teilweise kann man eine kleine Rauchwolke erkennen.
Allerdings war der sizilianische Winter bis jetzt nicht immer so idyllisch und sobald die Sonne weg ist, ist es auch bei uns kalt. Wir haben viele regnerische und ungemütliche Tage hinter uns. Hinzu kam, dass unsere Heizung erst nicht funktioniert hat und wir uns immer sehr warm einpacken mussten. Die Häuser hier sind alle nicht sehr gut isoliert und so war es in unserem Heim oft kälter als draussen. Die Feuchtigkeit hat auch zu Schimmelbildungen an Wänden und Boden geführt.
Wir sind froh, dass nun das Wetter wieder besser ist und haben mittlerweile auch schon einen grossen Teil des Schimmels bekämpft.
Neben Regen, Kälte und Schimmel hat der Winter sich aber auch in der Stadt bemerkbar gemacht. Auf der Piazza, wo man sich abends trifft, ist viel weniger los und auch sonst sind die Leute nicht mehr draussen. Unter der Woche bleiben wir nach der Arbeit zu Hause und gehen nur selten in die Stadt.
Seit vier Wochen haben wir nun dreimal in der Woche Sprachkurs bei einem Riesino, der für fünf Jahre in Basel gelebt hat. So sind wir abends meist trotzdem beschäftigt. Für mich ist der Sprachkurs zwar nichts Neues, aber trotzdem eine gute Repetition, für die anderen ist er sehr hilfreich und auch anstrengend.
Die raren, freien Abende geniessen wir nun umso mehr und machen es uns in unserem Gemeinschaftsraum gemütlich. Durch einen schönen Adventskranz, den wir aus Olivenzweigen gemacht haben, und einen Adventskalender ist die Weihnachtsstimmung bei uns angekommen. Sofie und Clarissa haben uns nämlich als Überraschung einen Adventskalender gebastelt, in dem wir jeden Tag Süssigkeiten bekommen und wir manchmal auch Aufgaben erfüllen müssen, wie zum Beispiel einen Gang für ein Gala Dinner zu kochen. Ich finde es sehr schön, dass wir diese Zeit gemeinsam geniessen können und hätte nicht gedacht, dass alle dabei mitziehen. Morgen werden wir auch noch einen kleinen Kunstweihnachtsbaum aufstellen, die es hier mittlerweile überall zu sehen gibt. Die Bäume sind dabei meist nicht mehr zu erkennen, da alles vollgehängt ist mit kitschigen Kugeln und Girlanden.
Ich bin auch schon sehr gespannt, wie Weihnachten wird, denn ich bleibe über die Festtage mit fast allen der Gruppe hier in Riesi. Es wird bestimmt speziell, nicht zu Hause zu sein, aber ich denke, dass wir es in der Gruppe sehr gut haben werden. Für Sylvester fahren wir dann gemeinsam mit dem Bus nach Rom, wo wir ein paar Tage Städteurlaub machen werden.
Nun habt ihr einen Einblick über mein Ergehen in Rievvvsi und seid wieder auf aktuellem Stand. Es freut mich sehr, dass ich euch in diesem Mail einen Link zu einem kurzen Video über das «Servizio Cristiano» mit schicken kann, so dass ihr auch einen Einblick in die Arbeiten und Aktivitäten des Zentrums erhaltet. In der Zeit der Olivenernte haben zwei Journalisten aus Trapani nämlich ein Video gedreht, welches zu Werbezwecken dienen soll. Es zeigt “unsere Jungs” bei der Arbeit, die Schweizer Gruppe bei der Olivenernte und die Kinder aus dem Kindergarten, mit denen ich jeden Tag arbeiten darf. Ihr findet die deutsche Version unter diesem Link: vimeo.com/80923218.
Bei uns ist nach den zwei Urlaubswochen allmählich wieder der Alltag eingekehrt. Unsere Gruppe ist endlich wieder vollständig, alle sind nach Riesi zurückgekommen und wir haben die erste Arbeitswoche gut hinter uns gebracht. Am Tag der Heiligen Drei Könige haben wir auch noch einmal in der ganzen Gruppe Weihnachten gefeiert und den ersten gemeinsamen Abend genossen.
Das Wetter ist weiterhin sehr schön und teilweise frühlingshaft. Bei Sonnenschein kann man durchaus auch im T-Shirt auf der Terrasse sitzen und den ersten Ausflug ans Meer haben wir direkt am Samstag gemacht. Abends wird es aber trotzdem kalt und wir haben jeden Tag im Kamin ein Feuer brennen, so dass der Gemeinschaftsraum immer gemütlich warm ist.
Die Weihnachtstage hier in Riesi waren sehr schön und friedlich. Fast alle sind in Riesi geblieben und nur zwei unserer Gruppe sind nach Deutschland gefahren. So haben wir es uns gemütlich und weihnachtlich eingerichtet und die Gemeinschaft sehr genossen. An Heilig Abend haben wir uns ein Weihnachtsmenu gekocht und sind danach in die katholische Messe. Nach der Kirche war auf der Piazza viel los und wir haben mit den „Riesini“ noch ein bisschen Weihnachten gefeiert. Am 25. Dezember war dann ein Weihnachtsgottesdienst in der Waldenser Gemeinde. In den Tagen über Weihnachten hatten wir zudem Besuch von zwei Freiwilligen aus Neapel und Vittoria. Auch in den Tagen um Weihnachten herum haben wir immer wieder einmal Besuch von anderen Freiwilligen und Freunden bekommen. Den Kontakt mit den Freiwilligen aus ganz Deutschland in Italien finde ich sehr schön und der Austausch mit ihnen ist sehr spannend. Es wird mir immer wieder bewusst, wie gut ich es mit meiner Stelle getroffen habe und dass das nicht alles selbstverständlich ist.
Natürlich bin ich in den Weihnachtstagen auch immer wieder in Kontakt mit meiner Familie und meinen Freunden in der Schweiz gewesen und habe die Schweizer Weihnacht zu Hause neu schätzen gelernt.
Am 29. Dezember sind wir dann am Abend nach Rom los gefahren und sind am nächsten Morgen gegen acht Uhr in der ewigen Stadt angekommen. Gewohnt haben wir in einem Hostel direkt beim Hauptbahnhof, wo zwei ihren Freiwilligendienst machen, die wir im Seminar in Torre Pellice kennengelernt haben. So hatten wir eine sehr zentrale und günstige Unterkunft und haben gemeinsam die Stadt erkundet. Es war sehr schön mit den Leuten, mit denen man sonst arbeitet und zusammenwohnt, Urlaub zu machen. Insgesamt waren wir acht; sechs aus Riesi, ein anderer Freiwilliger aus Florenz und Samuels Freundin aus Deutschland. Wir waren fast immer alle zusammen unterwegs und haben viel gesehen und besichtigt. Sylvester in Rom auf der “Spanischen Treppe” war natürlich ein sehr schönes Erlebnis, das Feuerwerk über der Stadt war genial und es waren sehr viele Leute auf der Strasse. Am Freitag sind wir dann wieder mit dem Autobus zurück nach Sizilien gefahren. Alle haben sich gefreut, wieder nach Hause zu kommen!
Sizilien ist für uns alle ein Stück Heimat geworden: Die Landschaft ist traumhaft und momentan richtig saftig grün, die Sprache ist wunderbar und man versteht immer mehr auch den Dialekt und die Leute sind herzlich und mir schon richtig ans Herz gewachsen.
Wenn wir durch die Strassen gehen oder am Wochenende auf der Piazza sind, kennen wir richtig viele Leute und können dann auch unser Italienisch praktizieren. Wir unternehmen vieles mit Einheimischen und schliessen Freundschaften.
Ich habe mich dafür entschieden, einen Monat länger in Riesi zu bleiben und habe meinen Aufenthalt bis Anfang März verlängert. Für mich bleiben nun also noch zwei Monate hier auf Sizilien. Ich geniesse diese Zeit noch einmal in vollen Zügen und denke, dass sie unheimlich schnell vorbei sein wird. Der Abschied, vor allem von unserer Gruppe, wird mir sehr schwer fallen und ich will unbedingt noch einmal zurückkommen. Auf der anderen Seite freue ich mich aber auch schon wieder sehr auf die Schweiz, auf meine Familie und meine Freunde und auf das Praktikum, das ich im Spital Bülach am 17. März anfangen werde.
Doro Birkner
AASR — Associazione Amici Svizzera Riesi
(Verein der Schweizer Freunde des Servizio Cristiano – Riesi)